Individuation und Entfaltung

„Der Gesegnete erfaßte die Vision des Weges und folgte diesem Weg ohne Überlegung. Ungestüm kennzeichnete seine Anstrengungen. Der Weg führte hinab in die Welt des Doppellebens. Er nahm zwischen den Paaren der Gegensätze seine Stellung ein, und während er zwischen beiden hin und her pendelte, erhaschte er einen flüchtigen Blick von dem Ziel. Er schwebte in der Mitte des Firmaments. Er versuchte, sich in jene strahlende Lichtstätte hineinzuschwingen, wo sich das Tor zum höheren Weg befand. Doch ständig schwankte er zwischen den Paaren der Gegensätze hin und her.

Schließlich sprach er zu sich selbst: ‚Es scheint mir, daß ich den Weg nicht finden kann. Ich versuche einmal diesen Weg und dann mit Allgewalt den anderen und stets tue ich es mit eifrigstem Verlangen. Ich erprobe alle Wege. Was soll ich tun, um den einen rechten Weg zu finden?’

Ein lauter Ruf ertönte. Es war, als käme er aus seinem tiefsten Herzen: ‚Gehe, oh Pilger auf der Wanderschaft im Sinnesleben, den mittleren, den erhellten Weg. Er verläuft genau zwischen den beiden Welten hindurch. Finde du diesen schmalen Mittelweg. Er führt dich an dein Ziel. Strebe nach jener verständnisvollen Beständigkeit, die zu erprobter Ausdauer führt. Festhalten am erwählten Weg, ohne die Paare der Gegensätze zu beachten, wird diesem Gesegneten, der auf dem erhellten Weg schreitet, die Freude des erlebten Erfolges schenken.’“

Das bedeutet: Heftiges Aufbrausen. Fanatismus. Eigensinniges Festhalten an einem Ideal. Falsches Beurteilen und geistiges Blindsein. Militarismus und die Tendenz, Mitmenschen und Gruppen Schwierigkeiten zu bereiten. Halsstarrigkeit, die nur den eigenen Standpunkt gelten läßt. Mißtrauen gegenüber den Beweggründen anderer. Schnelles Entflammtsein für Blendwerk und Illusionen. Gemütsverhaftete Frömmelei und verworrener Idealismus. Hin- und Herschwingen zwischen den Gegensatzpaaren. Starke Neigung, die eigene Person in den Vordergrund zu stellen und Persönlichkeitsgesichtspunkte zu unterstreichen

wandeln sich

In Idealismus, der ein Ziel hat und niemanden ausschließt. In stetige, bedachtsame Aufnahmefähigkeit durch Bewußtseinserweiterung. In Geltenlassen von Meinungen anderer und Eingehen auf ihre Ideen. In Bereitwilligkeit, den Fortschritt anderer nach ihren selbstgewählten Richtlinien zu respektieren. In Wählen des Mittelweges. In Friede und nicht Kampf. Der ganzen Welt und nicht nur einer Teilgruppe Gutes zu tun, wird das Motto.

Integrationsmethode

„‚Ich sehe eine Vision. Sie befriedigt das Verlangen; sie nährt und stimuliert ihr weiteres Anwachsen. Ich lege mein Leben auf den Altar des Begehrens – all das was ich sehe und fühle, was mich anzieht und meine Bedürfnisse befriedigt – Bedürfnisse nach materiellen Dingen, nach dem, was die Gefühle nährt, was mein Denken befriedigt, was mein Verlangen nach Wahrheit und nach Dienstleistungen stillt und mich das Ziel erschauen läßt. Es ist die Vision, die ich sehe, der Traum, den ich träume, die Wahrheit, die ich festhalte, die tätige Form, die meine Bedürfnisse befriedigt, das, was ich erfasse und begreife. Meine Wahrheit, mein Frieden, mein befriedigtes Verlangen, mein Traum, meine Vision von der Wirklichkeit, mein engbegrenztes Ideal, mein beschränkter Begriff von Gott; – für alles dieses ringe und kämpfe ich und gebe mein Leben hin.’Immer muß Liebe zur Wahrheit vorhanden sein. Verlangen und Aspiration, alles was nach materiellen Dingen strebt oder was sich aufschwingt zur Vision der Wirklichkeit, das muß stets seine Befriedigung finden. Dafür arbeiten die Menschen, treiben sich selbst an und ermüden andere. Sie haben die Wahrheit gern, in der Form, wie sie sie auslegen; sie lieben die Vision und den Traum, und sie vergessen, daß die Wahrheit durch das Denken eingeengt, gemindert wird, denn es ist beschränkt und starr, einseitig und nicht allumfassend; sie übersehen, daß die Vision nur den äußeren Rand des Mysteriums berührt und die Wirklichkeit verschleiert und verbirgt.

Das Wort geht aus von der Seele zur Form: ‚Renne doch nicht sogleich in einer Richtung. Der Pfad, auf dem du eilst, führt zum äußeren Kreis von Gottes Leben; die Richtung führt hinaus zu dem äußeren Rand. Bleibe im Mittelpunkt. Blicke nach allen Seiten. Gib dein Leben nicht für äußere Formen. Vergiß Gott nicht, der hinter der Vision lebt. Habe mehr Liebe für deine Mitmenschen.’“

Einweihung und Vollendung

„Der Engel der Gegenwart kommt herab und durchdringt auf halbem Weg den Nebel der Täuschung. Der Pfad steht offen. Der Eine, der dem Pfad folgt und aufhört zu kämpfen, der blindlings mit den beiden ringt, die ihn zu hindern und zu blenden suchen, sieht den Weg offen.

Der Weg ist sichtbar. Er läßt ab vom Lärmen und Kämpfen. Er findet seinen Weg hinein in die göttliche Gegenwart. Knie an Knie, Fuß an Fuß stehen beide. Hand in Hand, Brust an Brust, Stirn an Stirn sieht man sie stehen. Und auf diese Weise vereinen und verschmelzen sie.Der Ruf der Trompete ertönt: ‚Der Kriegszustand ist zu Ende. Die Schlacht ist aus. Verblendung und Wolken sind verschwunden. Das Licht und die Herrlichkeit des Tages sind erschienen. Dieses Licht enthüllt den Plan. Das Ganze ist nun mit uns verbunden. Die Absicht ist klar sichtbar. Mit allem, was mein ist, diene ich diesem Plan.’“

„Laß alles Verlangen schweigen. Laß das Streben zu Ende sein. Das Suchen und Forschen ist vorbei. Die Seele erkenne, daß sie das Ziel erreicht hat, und von diesem Zugang zum ewigen Leben und kosmischen Frieden ertöne das Wort: ‚Ich bin der Sucher und das Gesuchte. Ich raste!’“

Quelle: Alice A. Bailey/ Djwhal Khul in „Eine Abhandlung über die sieben Strahlen“ Band II – Zitate aus dem Alten Kommentar